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VW Rinderzuchtfarm -- Interview mit Padre Ricardo in der BZ 1985

Badische Zeitung vom 25.10.1985:

Padre Ricardo Rezende erzählt

Von verletztem Menschenrecht auf der VW-Rinderfarm

Dieser ist zum ersten Mal in der Bundesrepublik. Dennoch ist ihm Deutsches nicht fremd. Ricardo Rexende Figueira nämlich koordiniert die Arbeit der von den brasilianischen Bischöfen eingesetzten „Kommission für Grund- und Bodenpastoral“ im Raum Tocantins-Araguasia. Und just in diesem Gebiet (mit 570.000 Quadratkilometern, das größer ist als ganz Frankreich) liegen auch jene knapp 140.000 Hektar, auf denen der deutsche Volkswagen-Konzern Zehntausende von Rindern weiden lässt. Die aufgrund der räumlichen Nähe gesammelten Erfahrungen geben dem Priester freilich wenig Grund, sich für deutsches Unternehmertum à la VW zu begeistern.

Denn, klagt der 33-Jährige, auf Einladung der „Brasilieninitiative” in Freiburg: „Auch wenn VW die Verantwortung für die Farm delegiert hat, ist der Konzern doch verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen und Gesetzesverstöße auf seinem Besitz in Brasilien.“ Und davon hat Figueira während der acht Jahre, in denen er in der Kommission für die Landpastoral arbeitet, immer wieder gehört. Landarbeiter, denen die Flucht von der gut bewachten VW-Farm gelang, erzählten dem Priester nicht nur von Misshandlungen und Morden. Sie enthüllten auch das System, das die Arbeiter in immer tiefere Abhängigkeit verstrickte.

Danach warben Subunternehmer im Auftrag der von VW mit den Farmgeschäften betrauten Unternehmer (zwei ehemalige „Pistoleiros“ - Revolverhelden) weit von der Farm entfernt insgesamt etwa tausend vorwiegend junge Männer an, zahlten ihnen 15 Dollar Vorschuss, gaben ihnen zu Essen und transportierten sie zur Farm. So kamen sie dort, in der Südostecke des Bundesstaates Pará, schon verschuldet an, ehe sie mit ihrer Arbeit - Rodung eines insgesamt fast 54.000 Hektar großen Urwaldgeländes - überhaupt begonnen hatten. Und je länger sie arbeiteten (ohne gesetzlich vorgeschriebene Steuerkarte, ohne Sozialversicherung), desto mehr wuchsen ihre Schulden. Sie mussten ihre Lebensmittel teuer im farmeigenen Laden kaufen und anschreiben lassen.

Eingesperrt, von Hunden bewacht und von bewaffneten Männern überwacht, erzählt der junge Priester weiter, „wurde den Tagelöhnern die Farm zum Gefängnis.“

Wer dem entfliehen wollte und wieder erwischt wurde, berichteten die Flüchtlinge der Kommission, wurde geschlagen, gefoltert, mancher auch umgebracht. Als die Kirche versuchte, die Vorgänge auf der VW-Farm, die auch auf anderen Großgrundbesitzen in Brasilien üblich sind, öffentlich zu machen, gab es zunächst nur eine einzige Zeitung, die die Informationen verbreitete - alle anderen, erklärt Figueira, hatten Angst, den Anzeigenkunden VW zu verlieren.

Und auch die Regierung möchte sich den Konzern nicht vergraulen. Profitiert doch nicht nur VW vom Export des Fleisches nach Europa, sondern auch der brasilianische Staat. Denn das Geld für das exportierte Fleisch wird, so der 33-jährige Brasilianer, in Dollar auf das brasilianische VW-Bankkonto überwiesen. Dort aber gibt es keine Dollar-Konten: VW do Brasil bekommt also Cruzeiros ausbezahlt, während der Staat durch das Geschäft an die - angesichts seiner Schuldenlast - wichtigen Dollars herankommt.

Gerade weil mithin nur wenige aus dieser Rinderzuchtfarm Kapital schlagen, protestiert die kirchliche Kommission nach wie vor gegen die Rodung der 54.000 Hektar, wo nun noch mehr Rinder weiden sollen. Ricardo Rezende Figueira: „Es wäre von größerem sozialen Nutzen gewesen, wenn dieses Gebiet Landarbeitern zur Verfügung gestellt worden wäre.” Nicht nur weil von diesen 54.000 Hektar rund 2800 Landarbeiterfamilien leben könnten (zur Zeit haben 40 Millionen solcher Arbeiter keinen Boden zum Bearbeiten, zum Leben also). Vielmehr auch deshalb, weil diese Bauern dann Grundnahrungsmittel pflanzen und ernten und zudem neue Arbeitsplätze für Lehrer, Metzger, Lastwagenfahrer ermöglichen würden.

Wie lebensnotwendig diese Art der Entwicklung wäre, deutet Padre Ricardo Rezende mit dürren Zahlen an: Während in der von ihm betreuten Region 1984 bei Auseinandersetzungen mit Großgrundbesitzern 98 Landarbeiter starben, waren es in diesem Jahr bis Ende September schon 88; davon allein 41 im Bundesstaat Pará, in dem auch VW seine Rinderzucht für den Export betreibt.

Gerhard M. Kirk