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25 Jahre Solidaritätsarbeit

Aus der Ferne sieht es fast aus wie eine ziemlich fette Ratte. Kommt man allerdings näher, merkt man, dass dazu der schmale Kopf mit dem scheinbar grinsenden Gesicht nicht passt.

Auch die flinken Füßchen mit ihren schwarzen Schuhen – oder sind es Krallen? - Deuten in eine andere Richtung: Na klar, es ist ein Gürteltier, und in diesem Fall nicht irgendeins, sondern das Wappentier der Freiburger Brasilieninitiative. Diese Organisation sorgt schon seit 25 Jahren mit ihrem nimmermüden Wühlen und Graben diesseits und jenseits des Atlantiks für produktive Unruhe.

Man glaubt es kaum: Es ist tatsächlich schon 25 Jahre her, als diese kleine Organisation im äußersten Südwesten Deutschlands entstand. Ein wichtiger Auslöser für die Gründung war der Besuch Ernesto Geisels, des vorletzten Diktators aus einer langen Reihe mehr oder weniger blutiger Militärherrscher, in Bonn. Einigen Studenten der Freiburger Universität platzte damals der Kragen, als dieser menschenverachtende, aber diplomatischer als seine Vorgänger auftretende Tyrann in die Hauptstadt der Bundesrepublik reiste, um sich als Erneuerer und Reformator eines längst abgeschriebenen Modells zu präsentieren. Diese jungen Leute machten damals in der Kaiser-Joseph-Straße mit einem Informationsstand in der Innenstadt von Freiburg auf die miserable Lage in Lateinamerikas größtem Land aufmerksam. Eine extra dafür errichtete Stellwand sprach fast alle die Themen an, die auch heute noch jeder kennt, der sich ein bisschen genauer mit Brasilien beschäftigt: Von Menschenrechtsverletzungen, Landkonflikten, Auslandsverschuldung und Kriminalität war da die Rede.

1985 verschwanden die Militärs in den Kasernen, „Demokraten“ übernahmen die politische Macht, die alten Probleme aber blieben, da sich die Strukturen des Landes nicht veränderten.

Die ausschließliche Information über Ungerechtigkeiten war aber niemals die Sache der Freiburger. Sie wollten und wollen auch durch tatkräftige Hilfe die oben erwähnten Strukturen einreißen. Deshalb engagierten sie sich schon bald, ermuntert durch freundliche Worte des Erzbischofs Dom Helder Camara, in Piauí, dem ärmsten Bundesland Brasiliens, wo sie ein Brunnenprojekt mitfinanzierten.

Von den ehemaligen Gründungsmitgliedern der Brasilieninitiative ist nur noch Günther Schulz übrig geblieben. Über die vielen Jahre hinweg hat er die Gruppe zusammengehalten und immer wieder neue Impulse gesetzt. Von 1992-96 lebte und arbeitete er in São Paulo. Dort knüpfte er Kontakte mit der noch jungen Landlosenbewegung MST, von der man damals noch relativ wenig im Ausland wusste, und nahm auch an einigen ihrer Landbesetzungen teil. Frucht dieses Arbeit war ein Buch über den MST, seine Entstehungsgeschichte, seine alltägliche Arbeit und politischen Ziele.

Die Brasilieninitiative ist vor allem in drei Bereichen aktiv. Ihre Schwerpunkte sind die Information der hiesigen Bevölkerung über die Entwicklung in Brasilien, der Arbeitskreis Frauen und die Förderung mehrerer Kleinprojekte.

Die Informationsarbeit besteht vor allem darin, in mehr oder weniger regelmäßig durchgeführten Veranstaltungen und Vorträgen auf die aktuellen Probleme Brasiliens hinzuweisen. Schon so manche Koryphäe der nationalen und internationalen Lateinamerika-Szene weilte in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten in Freiburg und berichtete über den Nordosten Brasiliens, die Entwaldung Amazoniens, Sextourismus, das Elend der Straßenkinder und vieles andere mehr. Zur Informationsarbeit gehören aber auch Literaturabende, an denen brasilianische Romanciers und ihre Werke vorgestellt werden, Informationsstunden an Schulen sowie Straßenstände in der Innenstadt Freiburgs. Nicht zuletzt muss hier natürlich auch die Zusammenarbeit mit der Brasilienhilfe erwähnt werden: Beide Organisationen geben zusammen die Brasilien Nachrichten heraus.

Im Großraum Freiburg leben ca. 1.000 Brasilianerinnen und Brasilianer. Die Mehrzahl von ihnen sind Frauen. An sie speziell richtet sich der Arbeitskreis Frauen, der ihnen bei Behördengängen hilft oder bei der Klärung typischer Probleme, die durch das Ausländerrecht entstehen. Der Arbeitskreis Frauen will natürlich aber auch das Einleben in eine fremde Kultur erleichtern, indem Brasilianerinnen unter sich ihre gemeinsamen Erfahrungen austauschen können.

Bei den Projekten – und das ist der dritte Schwerpunkt der Tätigkeit – steht seit Jahren ganz eindeutig „Casa Taiguara“ im Vordergrund. Es ist eine von dem brasilianischen Unternehmer Daniel Fresnot ins Leben gerufene Einrichtung für Kinder und Jugendliche, die auf die Straßen von São Paulo gespült worden sind und nun perspektivlos dahinvegetieren. „Casa Taiguara“ besteht aus einem Einfamilienhaus in der gleichnamigen Straße im Zentrum der Stadt. Es bietet den Straßenkindern zunächst einmal die Möglichkeit, sich zu waschen, in einem frischen Bett zu schlafen und ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Wer will, kann bleiben und an Schul- und Ausbildungskursen teilnehmen. Auch Drogenabhängige erhalten die Chance eines Entzugs außerhalb der Metropole. Für viele, die von der Straße und ihren immensen Gefahren wegwollten, ist „Casa Taiguara“, das mittlerweile in São Paulo als Modelleinrichtung betrachtet und von der PT-Stadtverwaltung finanziell unterstützt wird, schon zum Sprungbrett in ein besseres Leben geworden. Seit 2002 richtet sich direkt neben der Casa Taiguara die Casa Taiguarinha ein. In diesem Haus werden sieben- bis zwölfjährige Straßenkinder betreut. Auch im Nordosten Brasiliens ist die Brasilieninitiative tätig. In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit entsteht z.Zt. in Salvador im Nordosten ein Bildungs- und Kulturprojekt mit einer Krippe für die Kinder von allein erziehenden Müttern, einer Ausbildungsstätte für Jugendliche und einem Treffpunkt für ältere Menschen.

Die Brasilieninitiative betrachtet die Projektarbeit seit Anfang an als Hilfe zur Selbsthilfe. Es soll keine Abhängigkeit der brasilianischen Partner von den ausländischen Geldgebern entstehen, sondern die Spenden sollen für den Aufbau unabhängiger Strukturen Verwendung finden, sodass sich die BI irgendwann zurückziehen kann.
Bernd Lobgesang (Brasilien Nachrichten Nr. 129)

Auch 25 Jahre nach ihrer Gründung gibt es sie noch immer: die Brasilieninitiative Freiburg.

Badische Zeitung - Dienstag, 16.12.2003

"Das ist schon sehr selten"

Von unserem Redakteur Gerhard M. Kirk

Ihr Wappentier Ist das Gürteltier: Es lebt in kleinen Gruppen, hat einen har­ten Panzer und ist bekannt für seine Wühlarbeit. Genau das richtige Sym­bol für unseren Verein, dachten sich ein paar junge Leute, als sie 1978 die Brasilieninitiative Freiburg gründeten. 25 Jahre später gibt es sie immer noch. Zwar mit der Erfahrung einer gewissen Ernüchterung. Doch eine realistische­re Sichtweise scheint Günther Schulz gar nicht so falsch: „Man darf sich kei­ne Illusionen machen und muss trotz­dem versuchen, etwas zu verändern."

Nicht mehr das Große, das Ganze, das die Junglehrer und Studierenden damals im Blick hatten, als sie die Brasilieniniti­ative gründeten. Solidarität zeigt sich für den Mann der ersten Stunde eher in der Unterstützung kleiner Projekte, beglei­tet von Bewusstsein bildenden Informationen über die weltweiten Zusammenhänge von Reichtum und Armut. Denn: „Man kann nicht so schwarz-weiß denken und reden wie vor fünfundzwanzig Jahren.“

Erster Informationsstand 1978 in der Freiburger Innenstadt

1978, das war die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien Und als Präsident Ernesto Geisel zu einem Besuch nach Bonn kam, machte jene Initiative, die es dank des Einsatzes von Ehrenamtlichen bis heute gibt, zum ersten Mal mit einem In­formationsstand auf der Kaiser-Joseph­ Straße auf sich aufmerksam. Über Dom Helder Camara, damals Erzbischof von Recife, bekam sie Kontakt in den Nord­ osten und unterstützte im Bundesstaat Piaui (bis heute die ärmste Region Brasiliens) als erstes ein Brunnen-Projekt.­ Rasch weitete sich der Blick durch Kontakte zur Landpastoral, zu Indianer- und sozialen Organisationen. Erste Reisen folgten. Und von 1992 bis 1996 lebte und arbeitete Günther Schulz in São Paulo. „Da habe ich Einblicke bekommen, die man sonst nicht kriegt."

Allerdings hatte sich da Brasilien offi­ziell schon zu einer Demokratie gewan­delt. Vorbei war´s mit dem Anprangern politischer Missstände (dafür wurde dann Nicaragua modern), Brasilien ver­schwand aus dem Blickfeld. Zu Unrecht, meint der Freiburger Realschullehrer. Bis heute hält er es für notwendig, über ein Land zu informieren, das mehr ist als Carneval, das eines der wichtigsten In­vestitionsländer für deutsche Firmen ist, in dem 40 Millionen Menschen (von 170 Millionen) hungern. Nicht minder notwendig erscheint ihm aber nach wie vor auch gezielt Projekten zu helfen: In­dianergemeinschaften, die Landlosen­Bewegung, Initiativen.in den Favelas, den Slums der Städte.

Sogar der Schriftsteller Heinrich Böll unterstützte ein Projekt der Brasilienini­tiative Freiburg, die mit der „Casa Tai­guara" für ältere Straßenkinder in São Paulo eine Modell-Einrichtung schuf, nach deren Vorbild die Regierung weite­re solcher Häuser errichten will. „Wich­tig bei diesen Projekten ist, dass wir die Menschen bei dem unterstützen, was sie machen und uns zurückziehen, sobald es läuft, damit keine keine Abhängigkeiten entstehen." Obendrein schafft diese Phi­losophie Spielraum für neue Vorhaben. So gibt es seit vergangenem Jahr neben der „Casa Taiguara" eine „Casa Taigua­rinha" für sieben- bis zwölfjährige Stra­ßenkinder. Und mit Hilfe des Bundesmi­nisteriums für wirtschaftliche Zusam­menarbeit (75 000 Euro) entsteht in Sal­vador gerade ein Bildungs- und Rekreati­onsprojekt: mit einer Krippe für Kinder allein erziehender Mütter, mit einer Ausbildung für Jugendliche, mit einem Treffpunkt für ältere Menschen.

Doch auch das hat Günther Schulz im Laufe der Zeit gelernt: „Es muss übers Geld hinausgehen." Dort wie hier. Deshalb gibt es in Freiburg Veranstaltungen, die sich nicht nur an Deutsche, sondern auch an die etwa tausend hier lebenden .Brasilianerinnen und Brasilianer wen­den - einen Arbeitskreis Frauen, einen Literaturabend, Informationsstunden in Schulen. Darüber hinaus gelang von Freiburg aus der Zusammenschluss von deutschen Brasilien-Gruppen in der „Kooperation Brasilien". Und hier entste­hen noch immer die „Brasilien Nach­richten" (mit einer Auflage von tausend Exemplaren), die Nummer 129 ist gera­de in Vorbereitung.

„Das Ernüchternde nach fünfund­zwanzig Jahren ist: Für die Mehrzahl der Bevölkerung in Brasilien hat sich ver­dammt wenig verändert", stellt Günther Schulz fest, „es ist letztlich eine beschei­dene Geschichte, was wir machen." Das aber alles ehrenamtlich. „Von daher ist es schon sehr selten, dass es so etwas wie die Brasilieninitiative Freiburg nach so langer Zeit noch gibt."

Brasilieninitiative Freiburg e.V.
Walter-Gropius-Str.2
79100 Freiburg
0761/556 25 72
Konto 250 548 06
BLZ 680 900 00

2003: 25 Jahre Solidaritätsarbeit: ein Grund zu feiern

2003 feierte die Brasilieninitiative Freiburg e.V. ein kleines Jubiläum: 25 Jahre Solidaritätsarbeit. So trafen sich am 20.September in Freiburg Aktive und ehemals Aktive um sich - zum Teil nach vielen Jahren - wieder einmal zu sehen und einen Rückblick auf die vergangenen Jahre zu werfen. Eine Power-Point-Präsentation erinnerte an die zurückliegenden Jahre und lies manch einen wehmütig werden. Die Spuren der vergangenen 25 Jahre waren an diesem Abend unübersehbar!