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„Die Regierung ist nicht im Stande ihrer Verantwortung nachzukommen“

BN: Bitte erkläre kurz die Namensänderung von Fabio Sandei zu Compaixão.
Zuerst nannte sich Verein Associação Dom Bosco. Das war der generelle Name. Centro Social Fabio Sandei war der Name des Sozialen Zentrums hier. Wir haben den Namen Dom Bosco in Compaixão geändert, weil alle uns mit den Salesianern verbunden haben. Sie dachten wir gehörten zu dieser Institution, die von Dom Bosco gegründet worden war.
Dom Bosco gehört zu den Salesianern und diese sind sehr reich. Die Gesellschaft wollte uns nicht unterstützen, da sie dachten, wir bräuchten keine finanzielle Unterstützung, da wir zu dem Zirkel der Salesianer gehörten. Und wir haben den Namen Compaixão – Mitgefühl gewählt, da dieser Begriff das bedeutet, was wir machen. Unsere Sozialarbeit ist durch die christlichen Werte geprägt. Dies ist nun der übergeordnete Name. Fabio Sandei war der Name des Hauptgebäudes. Wir haben diesen Namen in der neu gebauten Kinderkrippe beibehalten, und das Hauptgebäude heißt jetzt Centro de Rehabilitação Menino Jesus e Hospital Dia Marcelo Otânia. Dies ist eine katholische Organisation, die wesentlich zum Unterhalt des Krankenhauses beiträgt. Wir wollen die Geschichte dieser Institution aufrechterhalten. Diese entstand aus der Sozialarbeit der hiesigen Gemeinde. Aber in unserer Einrichtung können die Mitarbeiter:innen auch Buddhisten, evangelische Christen, Mitglieder des Candomblé sein, also verschiedenen Religionen angehören.

BN: Häufig zahlt die Präfektur die Löhne der Mitarbeiter. Aber nach Wahlen können andere Parteien gewinnen, die diese Zahlungen nicht mehr weiter mittragen. Wie sieht es hier in eurem Falle aus? Gibt es eine Sicherheit, dass die Löhne auch nach Wahlen weitergezahlt werden, wenn die Regierung wechselt?

Dies ist etwas, was eher in kleineren Städten im Landesinneren geschieht, d.h. dass das Personal ausgewechselt wird. In größeren städtischen Zentren kommt das weniger vor. Z.B. hat die Stadtverwaltung von Salvador Verträge mit 141 Schulen wie der unseren. Diese Schulen werden von verschiedenen Vereinen betrieben, von katholischen Institutionen, Mönchen, Nonnen, Priestern, aber auch von zivilen Gesellschaften, die keinerlei religiösen Hintergrund haben. 40% der Kindererziehung in Salvador ist in der Hand von Institutionen wie der unseren. Das bedeutet, dass die Regierung nicht im Stande ist, diese Arbeit auszuführen und daher Verträge mit Organisationen der Zivilgesellschaft abschließt, um diese Arbeit zu erledigen. Und die Regierung unterstützt diese Institutionen auch finanziell. So können wir auch unsere Organisation weiter erhalten. Alles geht über einen Arbeitsplan, jeder Cent wird aufgeführt und es wird dreimal im Jahr darüber Bericht erstattet und abgerechnet. Die Mittel, die wir erhalten, kommen von FUNDEB, einer Bundesbehörde. Die Präfektur von Salvador leitet dieses Geld nur weiter. Sie schließt den Vertrag mit uns ab, aber das Geld kommt von der Bundesregierung. Wenn die Institution, also auch wir, keinerlei Fehler mit der Abrechnung machen, gilt der Vertrag mit der Präfektur bis zu seinem Endtermin. Es gibt also die jeweiligen Verpflichtungen von beiden Seiten, von der Präfektur und der jeweiligen Institution.
Wir haben auch zwei Projekte im Bereich des Gesundheitswesens. Eines ist mit dem Centro de rehabilitação de pessoas com deficiência, das sich auf den Kreis der behinderten Personen bezieht, einer Organisation der Bundesregierung. Es ist praktisch unmöglich, diese Partnerschaft aufzulösen. Wenn dies in unserem Falle geschehen sollte, also eine solche Beendigung der Partnerschaft, würde dies ein großes Problem mit der hiesigen Gesellschaft, unserem Stadtviertel produzieren. Der Staat selbst ist nicht in der Lage, diese Dienstleistung zu erbringen.
Das andere Projekt ist die Gesundheitsversorgung in den Stadtvierteln. Hier werden mehr als 15.000 Personen pro Jahr betreut. In jedem Stadtviertel ist diese Omnibus-Gesundheitsstation 14 Tage, dann zieht sie in das nächste Stadtviertel. Hier allerdings kann dieses Projekt jederzeit enden, da wir keine sicheren Finanzierungsquellen haben.

BN: Wenn die Präfektur die Mitarbeiter bezahlt, welche Kompetenz habt ihr, um die Projekte zu führen?

Das gesamte Management liegt in unseren Händen. Die Präfektur mischt sich da nicht ein. Wir müssen eben die durch die Gesetzgebung und den konkreten Vertrag bestimmten Verpflichtungen einhalten in der Führung und Abrechnung des jeweiligen Projekts. Wir können die Mitarbeiter einstellen, die wir wollen. Die Präfektur mischt sich hier nicht ein.
Dies gilt ebenso bei den Kinderkrippen. Wir machen einen konkreten Arbeitsplan: etwa 20 Lehrer, 25 Hilfspersonen, 2 pädagogische Mitarbeiter, eine Psychologin. Die Lohnzahlungen an jeden Mitarbeiter, alle Zahlungen werden genau aufgeführt, das didaktische Material, Ausgaben für Hygiene etc.

 

 

Wir betreuen ungefähr 530 Kinder, pro Jahr erhalten wir umgerechnet ca. 750 Euro pro Kind. Hiermit können die Kinder betreut werden, und zwar was die Erziehung, das Essen, didaktische Materialien und die ganze erforderliche Infrastruktur betrifft. Dieser Betrag wird von der Bundesregierung an die Kommune geleitet, mit der Compaixão einen Vertrag abschließt. Wir haben uns schon vor 10 Jahren entsprechend weitergebildet und sind entsprechend anerkannt. Und jedes Jahr schicken wir die Dokumente und jedes Jahr wurde die Abrechnung auch anerkannt und wir hatten nie ein Problem. Von dieser Summe werden praktisch 70% für Personalkosten ausgegeben. Diese schließen alle Sozialkosten, Ferien, 13. Monatsgehalt etc. ein. Dies beinhaltet auch den Fall, dass der Vertrag mit dem Mitarbeiter nicht verlängert wird. Das heißt, dass Gelder für mögliche zusätzliche Forderung des Mitarbeiters zur Verfügung stehen und wir im Falle einer Entlassung zur Abzahlung keine Schulden machen müssen.
Genauso funktioniert es auch im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Unsere Schüler kommen aus sozial bedürftigen Familien und wir können auch sicherstellen, dass sie von den Ärzten, Psychologen, auch Sozialhelfern betreut werden. Die Gelder in diesem Bereich kommen aus staatlichen und privaten Stellen, auch von anderen Nicht-Regierungsorganisationen und wir können die Zielgruppen so behandeln, wie wir es für richtig halten. Wir können daher auch so betreuen, wie es Regierungsstellen nicht können, da wir eine umfassendere Betreuungsinfrastruktur haben. Die Regierung selbst kann diese Lücke nicht ausfüllen, aber sie kann soziale Organisationen finanziell unterstützen, die dazu in der Lage sind.

BN: Ein größeres Projekt steht ja mit dem Berufsausbildungszentrum an. Was ist genau geplant?

Auch hier haben wir bereits Kontakte geknüpft. So wird ein Partner auf dem Gebiet der Qualifikation SESC sein. Zusammen möchten wir jährlich 5 Kurse der Weiterbildung anbieten. Auch mit SENAI stehen wir in Kontakt. So ist ein Kurs geplant, der die Inklusion für ältere Mitbürger im Bereich des Internets vorsieht.

Derzeit haben wir zwar das Grundstück für das Berufsausbildungszentrum, jedoch fehlt das Gebäude. Um diesen Geldbetrag aufzubringen, werden wir verschiedene Aktivitäten veranstalten und hoffen , dass auch ihr uns wieder behilflich sein könnt. Zunächst haben wir die Ausbildung zum Bäckereihandwerk vorgesehen. Hier sollen Kurse gegeben werden im Bereich von Brot, Kuchen etc. Vorgesehen ist an jedem Tag 500 Brote an extrem arme Familien auszugeben. Während der Pandemie hatte sich die Armutssituation sehr verschlechtert und sie hat sich bis heute nicht wieder verbessert.

BN: Wer bezahlt die anfallenden Kosten für Zutatten wie Getreide undMehl für das Brot, das umsonst weitergegeben werden soll?

Wir planen Unternehmer anzusprechen und sie zu bitten, die Kosten zu übernehmen. Damit hoffen wir, den ausgebildeten Bäcker, der die Brote backt, und die Materialien für die Brote finanzieren zu können. Den Lehrer für die Auszubildenden im Bäckereihandwerk werden wir unter Vertrag nehmen und wollen ihn auch selbst finanzieren.

BN: Ist es nicht ein Problem, das Brot zu verschenken?

Es ist ein religiöses, spirituelles, soziales Problem. Man sollte lehren, wie man selbst fischt. Allerdings ist dies keine Hilfe für den, der im Moment Hunger leidet. Also geben wir die Kurse im Bäckereigewerbe, aber für die Hungernden geben wir eben die direkte Unterstützung in Form von Brot. Das ist nur für das Frühstück, nicht für mehr.
Und die Sozialhelferin, die die entsprechende Übersicht hat, wird helfen zu bestimmen, wer in den Kreis derer kommt, die das Brot bekommen.

BN: Wie viele Leute sollen für das Bäckereihandwerk ausgebildet werden?

Wir denken, dass wir 25 Leute in jeweils 6 Monaten ausbilden können. Es ist klar, dass nicht allzu viele ausgebildet werden können. Der Kurs wird wohl nur zweimal pro Woche stattfinden, viele Leute werden auch daneben arbeiten müssen.

Können die Personen, die die Kurse absolvieren,  ein Zertifikat erhalten? Ist die Ausbildung anerkannt?

Die Institution, an der er ausgebildet wird, kann ein Zertifikat ausstellen. Das machen beispielsweise SESC und SENAI. Auch wir werden dann ein Zertifikat ausstellen können. Unsere Organisation hat das Recht Kurse zu geben. Unser Zertifikat hat denselben Wert wie Zertifikate von SESC und SENAI. Unsere Kurse sind genauso professionell organisiert. Dies steht dann auch auf dem Zertifikat.

BN: Gibt es auch bereits Überlegungen für weitere Ausbildungskurse?
Neben einer Bäckerei möchten wir auch Nähkurse und Informatikkurse anbieten. Hier gilt es vor allem die Jugendlichen zu erreichen, z.B. durch Kurse im Design von Webseiten sowie Kurse, um Apps zu entwerfen. Einer der Räume ist speziell für diese Kurse vorgesehen. Dafür sind allerdings Computer notwendig.

BN: Es bleibt die Frage nach der Finanzierung des Baus des Fortbildungszentrums. Wie viel rechnest Du, dass es kosten wird?

Es wird so ähnlich sein, wie das Gebäude der Kinderkrippe, die jetzt fertig ist. Wir nehmen an, dass in etwa derselbe Betrag vonnöten ist, umgerechnet ca. 90.000 bis100.000 Euro. Dies ist eine große Herausforderung, aber wir sind grundsätzlich positiv und hoffen auch auf Unterstützung von euch.


Gilmar de Oliveira ist der Leiter des Vereins Compaixão.